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ASF Thüringen

"Das Ende der Hebammen?" - Leserbrief an die ZEIT zu einer emotionalen Debatte

Allgemein


PD Dr. Tanja Groten (Bild: privat)

PD Dr. Tanja Groten ist nicht nur die stellvertretende Vorsitzende der ASF Jena/ SHK. Sie ist auch Oberärtzin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe - Abteilung Geburtshilfe der Uniklinik Jena. Als Medizinerin hat sie einen weiten Blick auf das Feld der Geburtshilfe und den Arbeitsalltag der Hebammen und Geburtshelfer. In der Debatte um die zu hohen Haftpflichtprämien für Hebammen, die im Bereich der außerklinischen Geburtshilfe tätig sind, fordert sie Zurückhaltung und mehr Information. Als Reaktion auf mehrere Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit hat sie einen Leserbrief verfasst, der hier veröffentlich wird.

"Liebe Zeitredaktion,

Sie haben in den letzten zwei Jahren viele Artikel zum Thema Hebammen veröffentlicht, zuletzt unter anderem in Zeit online einen Artikel von Hannes Leitlein „Das Ende der Hebammen“. Leider scheint in dieser Diskussion bisher jedoch niemand aus Ihrer sonst so sorgfältig und nachhaltig arbeitenden Redaktion versucht zu haben die publizierten Zahlen und Fakten nachzuprüfen. Sie stimmen, so wie sie hier und auch in früheren Artikeln dargestellt sind, nicht. Vielmehr ist die Darstellung des Themas irreführend. Deshalb würde ich gerne hier kurz meine Sicht auf die Diskussion darstellen und mich dabei stark machen für alle diejenigen Hebammen, die rund um die Uhr mit großem persönlichem Einsatz in Kliniken, von denen sie auch haftpflichtversichert werden, Geburten betreuen. Und das ist die überwiegende Mehrheit der Hebammen. Und deren Ende ist nur in Sicht, wenn es, wie in diesem und anderen Artikeln, herbeigeredet wird.

Ich möchte versuchen in dieser so emotionalen Diskussion – es geht ja wirklich um einen sehr emotionalen und individuellen Moment im Leben – ein paar Zusammenhänge sachlich richtig zu stellen. Es ist keineswegs so, dass es in Deutschland bald keine Hebammen mehr gibt und Frauen ihre Kinder ohne Hebammenbetreuung bekommen müssen. 100% der Kinder kommen hebammenbegleitet zur Welt, 98% davon in Kliniken. Die Zahl von aktiven Hebammen in Deutschland ist so hoch wie nie zuvor in der Geschichte.

Die Erfahrung, die viele Frauen in der Tat jetzt machen, ist die, dass es regional unterschiedlich schwieriger wird Hebammen zu finden, die für die Nachsorge nach der Geburt zur Verfügung stehen. Hebammen die freiberuflich (meist neben ihrer Teilzeitanstellung in einer Klinik) Frauen in der Vor- und Nachsorge begleiten, zahlen dafür eine Haftpflichtprämie von maximal 550 Euro im Jahr. Diese finanziert sich aus den Einnahmen von ca. 660 Euro pro einzelner Nachsorge problemlos. Warum also mangelt es an Hebammen, die Vor- und Nachsorge anbieten?

Es gibt keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Hebammen es in Deutschland gibt, wie viele Hebammen freiberuflich Geburtshilfe leisten und mit den Krankenkassen selbst abrechnen, wie viele in einem Belegsystem auf Honorarbasis am Krankenhaus angestellt sind und selbst abrechnen, wie viele nur Vor- und Nachsorge machen oder wie viele an Kliniken angestellte Hebammen zusätzlich freiberuflich Vor- und Nachsorge anbieten. Das Thüringer Sozialministerium hat deshalb aus gegebenem Anlass die Initiative ergriffen für das Land Thüringen diese Zahlen zu erheben. Sie sollen im Herbst publiziert werden.

Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 682 069 Kinder geboren, 98% davon in Kliniken. Sie werden rund um die Uhr von angestellten oder Beleghebammen betreut. Die Haftpflichtversicherung der angestellten Hebammen wird von den Kliniken getragen. Dort, wo die Hebammen im Belegsystem arbeiten und selbst abrechnen und sich auch selbst versichern, verdienen sie pro Geburt nach Gebührenordnung ca. 350 Euro plus einer Bereitschaftsdienstpauschale von 300 – 500 Euro. Bei Hausgeburten erhöht sich die Gebührenposition auf über 800 Euro. Dem steht die Haftpflichtprämie für Geburten von jetzt ca. 6500 Euro im Jahr gegenüber. Eine Beleghebamme muss also etwa 8 Geburten im Jahr betreuen, um ihre Haftpflichtprämie bezahlen zu können (unabhängig von ihren sonstigen Einnahmen aus Vor- und Nachsorge). Wenn Hebammen also weniger als 8 Geburten im Jahr in der Hausgeburtshilfe oder im Geburtshaus betreuen, dann wird die Haftpflichtprämie für sie tatsächlich zu einem finanziellen Risiko. Zahlen darüber, wie viele Hebammen tatsächlich betroffen sind, gibt es nicht. Betroffen sind maximal 2% aller Geburten, also eine verschwindende Minderheit.

Die rein finanziellen Interessen dieser Minderheit haben dazu geführt, dass durch die sehr erfolgreiche Lobbyarbeit der Hebammenverbände ein Notstand herbeigeredet wird, der so nicht besteht. Im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung bleibt den Hebammen aber jetzt als Folge der verzerrten öffentlichen Diskussion der Nachwuchs aus. Die Hebammenschulen verzeichnen einen dramatischen Rückgang an Bewerbungen und so wird der Mangel, den wir aktuell nicht haben, vielleicht in den nächsten Jahren entstehen.

Bleibt die Frage, warum es für junge Mütter oft so schwer ist, eine nachsorgende Hebamme zu finden. Dafür lassen sich einige Gründe anführen. Zum Teil mag es einerseits daran liegen, dass Hebammen, die bisher bis zu 5 Geburten im Jahr betreut haben, jetzt mehr Geburten betreuen wollen und müssen, um ihre Prämien zu finanzieren. Sie stehen damit weniger für die Vor- und Nachsorge zur Verfügung. In meinem Umfeld gibt es bereits die Praxis, dass Frauen eine Nachsorge nur dann angeboten wird, wenn die angefragte Hebamme auch für die Geburt „gebucht“ wird. Zum zweiten ist das Problem häufig saisonal und hausgemacht. Im Unterschied zum ärztlichen Sicherstellungsauftrag gibt es bei der Hebammenbetreuung keine Pflicht, die Betreuung durch Absprachen oder Vertretungsregelungen zu gewährleisten. Deshalb entstehen oft über Feiertage oder Ferienzeiten Defizite, die schwer auszugleichen sind. Hier könnte durch eine verbesserte Organisation, z.B. durch die staatlichen Gesundheitsämter, die die Aufsicht über die freiberuflich tätigen Hebammen wahrnehmen, Abhilfe geschaffen werden. Zum dritten sind zunehmend weniger festangestellte Hebammen bereit auf einen Teil ihres eher niedrigen Einkommens zu verzichten, um in Teilzeit zu arbeiten und so zusätzlich freiberuflich für Vor- und Nachsorge zur Verfügung zu stehen. Ein weiterer Grund ist sicher auch, dass heute viel mehr Frauen selbstverständlich den Anspruch auf Nachsorge auch tatsächlich wahrnehmen.

Wir brauchen also tatsächlich auch mehr Hebammen. Aufgabe der Politik sollte sein, insbesondere für die übergroße Mehrheit der in Kliniken arbeitenden Hebammen bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen – durch bessere Bezahlung und mehr Hebammenstellen. Dies würde eine überwiegende Eins-zu–Eins – Betreuung der Gebärenden in den Kliniken ermöglichen und mehr Hebammen die Möglichkeit zur freiberuflichen Tätigkeit eröffnen. Der viel kritisierten Ökonomisierung im Gesundheitswesen muss deshalb auch im Interesse der werdenden Eltern und der Hebammen entgegen getreten werden. Wir sollten deshalb dringend aufhören diesen Beruf durch die Beschwörung eines Notstandes, den es gar nicht gibt, so in Verruf zu bringen. Es bedarf dringend einer intensiven Werbung für diesen wunderschönen Beruf, dem sonst tatsächlich der Nachwuchs ausbleibt. In den Kliniken betreuen täglich tausende Hebammen Geburten ganzheitlich und individuell ohne von Existenznot bedroht zu sein.

Ein letzter Punkt sei noch zur Wahlfreiheit des Geburtsortes gesagt. 98% der Kinder kommen, wie gesagt, in Kliniken zur Welt. Die meisten nicht, weil sie krank sind, sondern, weil Mutter und Kind auch im Falle einer Komplikation, die oft unvorhersehbar und ohne Ankündigung auftritt, gesund bleiben sollen. Wenn man Hausgeburtshilfe will, sollte jedes schon bekannte Risiko eine außerklinische Geburt ausschließen. Die Paare müssen dann darüber informiert sein, dass auch bei strenger Risikoselektion noch ca. jede fünfte begonnene Hausgeburt in einer Klinik endet, da Komplikationen eine Verlegung unter der laufenden Geburt erzwingen. Auch Hausgeburtshilfe kommt also nicht ohne die Kliniken aus. Und dort gibt es viele wunderbar arbeitende Hebammen, die dann diese Frauen aufnehmen, auffangen und in Zusammenarbeit mit den Geburtshelfern und Kinderärzten bei Mutter und Kind die Gesundheit erhalten helfen, im klinischen Setting mit allen notwendigen Ressourcen.

Deshalb: Ja! Hebammen braucht das Land, die unter besseren finanziellen und personellen Bedingungen in den Kliniken Geburten betreuen und genügend Freiraum haben, zusätzlich freiberuflich die Frauen vorher und nachher zu begleiten."

 
 
 

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