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Maria Noichl: Bericht aus Brüssel

Allgemein


Maria Noichl berichtet regelmäßig über ihre Arbeit im EU-Parlament. (Bild: privat)

Liebe Genossinnen,

in diesem Newsletter möchte ich euch berichten, was es im September im Frauenrechtsausschuss und Brüssel Neues gab. 

Zunächst zum Ausschuss:

In einer gemeinsamen Sitzung des ECON (Ausschuss für Wirtschaft und Währung) und des FEMM Ausschusses ging es zunächst um Steuerpolitik und ihre Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter. Darin wurde deutlich, dass mehrere Ebenen zu beachten sind:

1. Die Ebene der Steuervermeidung und -flucht: Gelder, die dem Staat fehlen, fehlen auch den Frauen und der Gleichstellungspolitik.

2. Das „wie“ der Einkommensbesteuerung: Gemeinsam, getrennt, zu welchem Satz? Gemeinsame Veranlagung führt, so wie in Deutschland mit dem sog. Ehegattensplitting, oft zu Nachteilen der weiblichen Erwerbstätigkeit und wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Individualbesteuerung (so wie sie Schweden bereits in den 70ern eingeführt hat), mit einem Fokus und Ausgleich für Kinder, könnte hier die Lösung sein, bestehende Ungleichheiten nicht weiter zu vertiefen.

3. Die Mehrwertsteuer: Hier stellt sich die Frage: welcher Satz auf was und warum? Dies lässt mich direkt an die sogenannte Tamponsteuer denken. Weibliche Hygieneprodukte als Luxusgut? Australien hat sich gerade davon verabschiedet. In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten bleibt sie jedoch Realität.  

Diese und andere Gedanken werden nun in einem gemeinsamen Bericht zusammengefasst. Ziel ist, es deutlich zu machen: Auch Steuern haben einen Einfluss auf Geschlechtergerechtigkeit.

Danach wurde der Ausschuss Schauplatz einer Debatte, wie wir sie in den letzten Jahren auch vermehrt in der Bevölkerung beobachten können. Im Rahmen einer Diskussion über den Entwurf eines Entschließungsantrages zum Thema Rückschritte im Bereich der Gleichstellung und der Frauenrechte, wurden zunächst fraktionsübergreifend wichtige Punkte ausgetauscht, die sich im Bericht wiederfinden sollten. Dazu gehörten unter anderem:

  • Rückschritte und Attacken auf die sexuellen und reproduktiven Rechte
  • Angriffe auf die Inhalte und Ziele der Istanbuler Konvention
  • Daraus resultierende Unklarheiten in Bezug auf die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen
  • Kürzungen im Bereich Frauenrechte und Gleichstellung
  • Kampagnen mit gezielten Falschinformationen in den Bereichen Sexualerziehung und Istanbul Konvention
  • Versuch der Einengung des Familienbegriffs und der Gleichstellungspolitik auf Mütterpolitik

Die meisten Mitglieder des Ausschusses waren sich hier einig. Nur eine polnische Abgeordnete der Europäischen Konservativen und Reformer fühlte sich mit ihrer Meinung in der Debatte nicht berücksichtigt und griff den Text als linke Propaganda an. Ihrer Meinung nach habe der Feminismus bisher zu nichts Gutem geführt. Er sei dafür verantwortlich, dass Kinder den Müttern viel zu früh aus den Armen gerissen werden, um sie in die Fremdbetreuung zu geben. Außerdem sagte sie, löse die Istanbul Konvention keine Probleme, sondern schaffe sie selbst.

Der Versuch der Umlenkung der Debatte schlug fehl. Die in der Ausschusssitzung anwesenden Mitglieder machten deutlich, dass sie andere politische Auffassungen durchaus respektierten, zogen aber eine deutliche Grenze. Frauenrechte seien Menschenrechte und keine Ideologie. Sich nicht für diese einzusetzen habe nur eine Folge:  den Tod von Frauen.

Das zeigt einmal mehr: Antifeminismus, und mit seinen „Kreuzrittern“ konfrontiert zu sein, ist keine Seltenheit, sondern für viele von uns Alltag.

Deshalb möchte ich euch auf eine Broschüre aufmerksam machen, die dieser Tage von WAVE (Women against violence Europe) herausgegeben wurde. In Zusammenarbeit mit Garence, einer belgischen Organisation, die sich der Selbstverteidigung von Frauen verschrieben hat, werden unterschiedliche Strategien in der Argumentation gegen antifeministische Positionen vorgestellt. Interessant sind dabei auch die verschiedenen Formen von Antifeminismus, die zu Beginn der Broschüre vorgestellt werden. Sie unterscheiden dabei zwischen gewöhnlichem Sexismus und Frauenfeindlichkeit, antifeministischem „zum Schweigen bringen“ und Ausschluss, antifeministischer Falschinformation und antifeministischer Gewalt. Die Broschüre auf Englisch findet ihr im Anhang.

Um spezifische Formen von Gewalt geht es auch in der Studie, die ich euch an diese Email angehängt habe. Im Auftrag des Frauenrechtsausschusses wurde eine Studie zum Thema Gewalt und Hassreden gegen Frauen im Netz erstellt.

  • 20% der jungen Frauen in der EU sind von sexueller Belästigung im Netz betroffen (gewesen)
  • 14% haben seit ihrem 15. Lebensjahr Stalking im Netz erlebt

Dabei beginnt die Studie mit einer Definition der verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen im Netz, um sich dann den Gründen für diese zuzuwenden und eine Prognose des Ausmaßes zu wagen und best practices zu ihrer Bekämpfung deutlich zu machen. Hier ein paar Punkte aus der Studie:

  • Gewalt und Hassreden gegen Frauen im Netz sind Teil des Kontinuums von Gewalt gegen Frauen
  • Anonymität, Schutz und Dynamik der Gruppe führen zu Taten und Wiederholungen dieser
  • Ungleichheit der Geschlechter, die in den IT- und Technik-Unternehmen herrscht, schlägt sich auch in ihren Erfindungen und Techniken nieder
  • Die Mob-Mentalität richtet sich gegen Frauen, die ihre Meinung online äußern. Sie sind häufig von Anspielungen auf und Androhungen von sexueller Gewalt geprägt, finden koordiniert und gleichzeitig über mehrere soziale Plattformen statt

Deutlich wird: best practices gibt es bisher nur wenige. Auch das Ausmaß des Problems ist noch recht unbekannt. Es fehlen Studien, die dieser Sache weiter auf den Grund gehen, um besser darauf reagieren zu können. Unsere Aufgabe ist deshalb, ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Und den Frauen und Mädchen im Netz zu zeigen: ihr seid nicht alleine. Und wir werden nicht dulden, dass ihr mundtot gemacht werdet.

Mit feministischen Grüßen aus Brüssel,

Eure Maria

 
 
 

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